Ich hatte mir die Nachricht mehrmals durchgelesen, um jeglichen Zweifel auszuschließen.
Sie war in der Handschrift des Prinzen höchst selbst verfasst und schon allein diese Tatsache drückte die äußerste Wichtigkeit des Inhalts des Briefes aus. Das prächtige Siegel Kael'Thas' prangte in der rechten unteren Ecke, mit magischer Energie verwoben, sodass die Nachricht nur von mir gelesen werden konnte.
In Anbetracht des Inhalts eine mehr als nötige Vorsichtsmaßnahme.
Der Prinz hatte offensichtlich eine augenscheinlich dauerhafte Lösung für das Problem unseres Volkes, die schon zwanghafte Abhängigkeit von Magie, gefunden. Doch dazu hatte er Verbündete gebraucht.
Noch unangenehmere Verbünde als es dieser dreckige Haufen ungewaschener und primitiver Wilder und die angeblich vom Lichkönig losgesagten Untoten unter der ehemaligen Waldläufer-Kommandantin und jetzt ebenso eine Untote wie ihre Lakeien, Sylvannas Windläufer, die sich selbst als die Horde bezeichneten.
Wie treffend...
Ich bewundere den Prinzen jeden Augenblick für seine uneingeschränkte Opferbereitschaft den Sin'Dorei gegenüber. Wie könnte man auch jemanden nicht verehren, der alles tut, um sein ihm anvertrautes Volk vor dem Untergang zu bewahren, es aus der Abhängigkeit zu führen und neu erstarken zu lassen. Der sich selbst erniedrigt für dieses höhere Ziel.
Der sich erst der Horde und dann dieser abartigen Dämonenkreatur namens Illidan anschließt und unterordnet – alles nur für uns...für sein Volk. Damit wir wieder erstarken können und schließlich diesen widerlichen Dämonenabschaum aus Azeroth und Draenor zu vertreiben.
Er hatte uns zu sich gerufen, um ihn auf seiner Reise in die Scherbenwelt zu begleiten. Selbstverständlich sind wir diesem Ruf gefolgt! Und was uns dort erwartete war mehr, als wir uns alle hätten träumen lassen.
Wir durchreisten die zersplitterten Landmassen, durch öde Wüsteneien über fruchtbare, leuchtend grüne Wiesen, durch brodelnde, stinkendeSümpfe – bis wir unser eigentliches Ziel erreicht hatten: Den sogenannten Nethersturm.
Es war das Paradies. Nicht vom Aussehen, das eher an eine tote, zerklüftete Kraterlandschaft erinnerte, über der allgegenwärtig ein violetter Schimmer lag. Nein, es war die Magie...
Sie war überall, erfüllte jeden Fingerbreit des bröckelnden Gesteins um uns herum, durchdrang unsere Körper und Seelen und es war im ersten Augenblick so, als hätten wir den Sonnenbrunnen niemals verloren...
Doch die Magie war wild und ungezähmt, ganz anders als wir sie gewohnt waren. Einigen schwächeren Seelen schadete dieser barbarische Einfluss und sie mussten...“behandelt“ werden. So beschloss der Prinz, dass wir die Gebäude der Draenei besetzen sollten, die die Energie kanalisieren und „zähmen“ würden, sodass wir sie optimal würden nutzen können.
Und das taten wir. Mehrere Adelshäuser, nur diese Adelshäuser, die dem Prinzen absolut treu ergeben sind – so wie die Feuerschwingen – waren an den Angriffen auf die zahlreichen Manaschmieden beteiligt, die unser Volk aus der Abhängigkeit erretten würden.
Nachdem dieses erste, akute Problem beseitigt war, mussten wir uns allerdings einem anderen zuwenden: Der Bedrohung durch die Draenei, die unter den sogenannten Naaru eine große Stadt namens Shattrath hielten und uns von Anfang an wiederholt angegriffen hatten.
Kael'Thas sammelte seine Truppen, unter denen auch das Haus Feuerschwinge war, und startete einen Großangriff auf diese Stadt.
Wir hätten gesiegt. Unser Sieg wäre absolut und unausweichlich gewesen – wären wir nicht verraten worden.
Nicht die abartigen Draenei oder die wunderlichen Naaru-Kreaturen hatten uns in die Knie gezwungen, sondern unser eigenes Volk...unsere Brüder und Schwestern, die Augenblicke zuvor noch erbittert an unserer Seite gekämpft hatten, stießen uns plötzlich die Dolche in den Rücken.
Durch diesen unglaublichen Verrat tief erschüttert, mussten wir uns zurückziehen und die Stadt war für uns verloren. Mit unserer aktuellen Truppenstärke war es uns nicht möglich, erneut anzugreifen.
Die Verräter schlossen sich den Draenei an, unterwarfen sich den Naaru und nannten sich fortan „die Seher“. Sie zu vernichten, und alle Verblendeten, die ihren Lügen, die sie unablässig über den Prinzen und seine Getreuen verbreiten, Glauben schenken, ist unser primäres Ziel. Wir dürfen nicht zulassen, dass sie unser Volk spalten. Denn gerade in Zeiten wie diesen, mit solch unsteten, unsicheren und gefährlichen Verbündeten, müssen wir stark sein...eine Einheit sein...
Dem Prinzen sei Dank war es uns gelungen, während des Angriffs auf Shattrath, einen der Naaru gefangen zu nehmen. Nachdem wir zurückgeschlagen worden waren, brachten wir diesen nach Silbermond zurück, wo er von unseren fähigsten Magistern untersucht wurde.
Die Naaru scheinen aus reinem Licht zu bestehen und dieses frei nach ihren Wünschen lenken zu können. So könnte es uns vielleicht gelingen, unserem Volk die Macht es Lichts wieder zu geben, die wir verloren hatten. Der Orden der Blutritter machte es sich zur Aufgabe, alles aus diesem Wesen herauszuholen, was uns nützen könnte, gegen unsere zahlreichen Feinde vorzugehen – und uns vor unseren „Verbündeten“ zu schützen und gegen sie zu wappnen.
Wir dürfen nicht zulassen, dass der Einfluss der Wilden und der abartigen Untoten, die Seelen der Sin'Dorei verdirbt, ebenso wie der Einfluss der Dämonen. Unsere Kultur muss unter allen Umständen gewahrt bleiben, unsere Sprache, unsere Traditionen, unsere Moral – denn das ist es, was uns ausmacht. Sollten wir das verlieren, es durch die Wilden oder die Dämonen besudeln lassen, dann gäbe es das Volk der Sin'Dorei nicht mehr...
Aus den Aufzeichnungen der Syrielle Lhyrana Feuerschwinge, ehemalige Fürstin des Hauses, möge ihre Seele ewig im Licht der Sonne erstrahlen!